16,17Faulstich, Werner (2002)
Grundkurs Filmanalyse.
München: Wilhelm Fink Verlag
18Bordwell, David/Thompson, Kirstin (2001)
Film Art. An Introduction.
6. Aufl. New York/London/Tokyo: University of Wisconsin
19Fiske, John (1992)
Television Culture.
London: Routledge
20Borwell, David (1988)
The classical Hollywood cinema: film style and mode of production to 1960.
London: Routledge
Mulan Filmanalyse
Narrationsanalyse
Der 1998 veröffentlichte Disney Zeichentrickfilm Mulan erzählt die Geschichte des Mädchens Fa Mu-lan, welches anstelle ihres Vaters dem Einberufungsbefehl des Kaisers in die chinesische Armee zur Bekämpfung der angreifenden Hunnen folgt. Da Frauen der Eintritt in die Armee untersagt ist (und dies mit dem Tod bestraft werden würde), verkleidet Mulan sich mit Hilfe des kleinen Drachen Mushu als Mann und wird zum Soldat „Ping“. Während ihrer Grundausbildung erkämpft Mulan alias Ping sich die Anerkennung ihrer männlichen Kameraden und verliebt sich in ihren Ausbilder Shang.
Im ersten Kampf gegen die Hunnen besticht Mulan durch ihre gerissene Taktik und rettet sowohl ihren Ausbilder als auch die gesamte Kompanie. Durch eine Verwundung, die sie sich im Kampf zugezogen hat, wird ihre Verkleidung entlarvt, doch Shang verschont Mulans Leben als Dank für seine Rettung. Von der Kompanie zurückgelassen beobachtet Mulan, wie sich die Armee der Hunnen neu formatiert und einen Angriff gegen den chinesischen Kaiser plant. Daraufhin eilt sie zum Palast des Kaisers, um ihn zu retten. Unter Mulans Anleitung verkleiden sich ihre Kameraden als Konkubinen und schaffen es so, die Angreifer zu täuschen und den Kaiser zu befreien. Als Dank für die Rettung des Kaisers bietet dieser Mulan einen Posten in seinem engsten Beraterstab an, den sie jedoch ablehnt, um zu ihrer Familie zurückzukehren. Nachdem sie von ihrer Familie freundlich in Empfang genommen wird, stattet der ehemaliger Ausbilder Shang Mulan einen Besuch ab, da er seine Liebe zu ihr entdeckt zu haben
scheint.
In dieser kurzen Inhaltsangabe lässt sich bereits die Struktur der Filmhandlung deutlich erkennen. Laut Werner Faulstich sind hierbei „[…] die Frage nach den Handlungsphasen – die man sich analog zu den Akten eines Theaterstücks vorstellen kann“ (Faulstich 2002, 81)16 wegweisend. Somit lässt sich auch in Disneys Mulan das dramaturgische Gestaltungsprinzip der klassischen 5-Aktstruktur des aristotelischen Dramas (Problementfaltung, Steigerung der Handlung, Krise oder Umschwung, Verzögerung der Handlung, Happy End bzw. Katastrophe)17 wieder finden. Dabei gilt es nicht nur eine deskriptive inhaltliche Unterscheidung von Narrationsabschnitten oder Handlungsphasen vorzunehmen, sondern folgende Fragen (in Bezug auf den Gender-Aspekt in Mulan) zu untersuchen:
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Was genau entfaltet sich in der Latenz?
- Von Anfang an wird innerhalb der Narration verdeutlicht, dass Mulan auf der Suche nach sich selbst ist;
- Mulan befindet sich in einer geschlechtsspezifischen Identitätskrise;
- Sie entspricht nicht dem traditionellen Frauenbild (und will ihm scheinbar auch nicht entsprechen), möchte aber ihre Eltern (besonders ihren Vater) nicht enttäuschen;
- Mulans Vater wird als gebrechliches und machtloses Oberhaupt der Familie in die Narration eingeführt. Er ist auf die Hilfe seiner Tochter angewiesen;
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Was steigert sich?
- Mulans Vater ist nicht nur gesundheitlich angeschlagen, was ihn auf die Fürsorge und Hilfe seiner Tochter angewiesen macht, sondern er ist auch nicht in der Lage dem Einberufungsbefehl des Kaisers ohne schwerwiegende Konsequenzen zu folgen;
- Die Suche nach einer Gender-Identität findet ihren Höhepunkt als Mulan sich als Mann verkleidet, um der chinesischen Armee anstelle ihres Vaters beizutreten;
- Innerhalb der Narration wird ihre Wandlung vom Mädchen zum Soldaten Ping deutlich gemacht (zuerst Verändert sie sich nur äußerlich aber dann erarbeitet sie sich den Respekt ihrer Kameraden sowie ihres Ausbilders Shang);
-
Was erlebt einen Umschwung?
- Mulan verliebt sich peu à peu in Shang und entdeckt somit ihre Weiblichkeit;
- Aufgrund einer Verletzung, die behandelt werden muss, wird Mulan als Frau entlarvt;
- Die Soldaten sowie Shang wenden sich von ihr ab und lassen sie zurück;
- Mulan wird in einer Art „Gender-Grauzone“ zurückgelassen = sie hat bewiesen, dass sie die selben Qualitäten wie ein Mann hat, aber sie bleibt nun mal biologisch gesehen eine Frau;
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Was erlebt eine Retardierung?
- Mulan muss sich den Respekt und das Vertrauen ihrer Kameraden als Frau zurück gewinnen;
- Sie scheint sich immer noch zwischen den traditionellen Genderrollen zu bewegen, da sie während der Rettung des Kaisers als Frau in Männerkleidern auftritt und sich selbst „verkleiden muss“ um vor den Hunnen als Frau bzw. Konkubine durch zu gehen;
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Was wird schließlich zum Abschluss gebracht bzw. erlebt seinen Abschluss?
- Es gibt ein happy ending;
- Der Kaiser wurde Dank Mulans List gerettet und China wurde von den Hunnen befreit;
- Mulan wird nicht nur als Frau respektiert und hat das Vertrauen der anderen zurück gewonnen, sie fungiert sogar als deren Anführerin;
- Auch Shang zeigt ihr seine Akzeptant / seinen Respekt, und erfüllt am Ende die Rolle des Ehemannes;
- Nachdem Mulan ihr Abenteuer erlebt und bestanden hat, weiß sie wer sie wirklich ist und wo sie hingehört —› sie gehört nach Hause;
- Mulan schlägt das ihr angebotene öffentliche Amt aus und kehrt in dem traditionell Frauen zugeteilten privaten Bereich des Lebens zurück und überlässt die Politik / Kultur (also den öffentlichen Teil des Lebens) wieder den Männern;
- Mulan kehrt in die ihr traditionell zugedachte Rolle der gehorsamen, liebevollen Tochter und Ehefrau zurück;
- Dies wird auch durch ihre weibliche Erscheinung ausgedrückt;
- Mulans Vater kehrt in die Rolle des Patriarchen zurück —› sie übergibt ihrem Vater symbolisch das Schwert des Feindes (Zeichen der Macht / Phallussymbol);
- Mulan übernimmt die ihr zugewiesene (passive) Rolle der Ehefrau;
- Alles kehrt zu seiner ursprünglichen patriarchalischen Ordnung zurück;
- Mulan hat ihre weibliche Identität gefunden bzw. akzeptiert;
Darüber hinaus lehnt sich Mulan an den narrativen Stil des klassischen Hollywood Kino an:
- Der Fokus liegt auf Individuen —› der Zeichentrickfilm dreht sich um Mulan, Shang und ihre Kameraden;
- Die Protagonisten verfolgen ein bestimmtes Ziel (Sie kämpfen gegen Antagonisten oder müssen Probleme überwinden, bis sie ihr Ziel erreichen) —› Mulan möchte ihrem Vater den Dienst in der chinesischen Armee ersparen. Mit Hilfe ihrer Kameraden möchte sie ihr Vaterland sowie den Kaiser vor den angreifenden Hunnen retten;
- Es gibt eine klassische Doppel-Plot Struktur —› Mulan hat eine bestimmte Aufgabe zu bewältigen und verliebt sich in ihren Ausbilder Shang;
- Es gibt ein abgeschlossenes Ende (happy ending) —› China und der Kaiser werden gerettet und Mulan erhält die Anerkennung, die sie stets gesucht hat. Am Ende kehrt sie zu ihrer Familie zurück und Shang scheint ihre Liebe zu erwidern;
Somit bestehen klare Ursachen und Gründe für die Handlungen der Charaktere. Darüber hinaus gibt es eine klare, lineare Entwicklung der Narration. Obwohl die Liebesgeschichte hier nicht als Schwerpunkt dient, macht sie trotzdem einen wichtigen Teil der Narration aus, indem ihr eine permanente, wenn auch unterschwellige Bedeutung eingeräumt wird. Der Tradition des klassischen Hollywood Musicals folgend, wird die Handlung stets von Musik begleitet und von den Charakteren gesungene Lieder markieren die wichtigsten Punkte der Geschichte18.
Wie bereits beschrieben, basieren Disney Zeichentrickfilme in den meisten Fällen auf Volksmärchen oder einer anderen Art von Kinderliteratur. Im Fall von Mulan handelt es sich bei der Originalvorlage um ein aus dem fünften Jahrhundert nach Christus stammendes Gedicht über die chinesische Kriegerin
Fa Mu-lan. In diesem Zusammenhang liefert die 1992 in John Fiskes Buch Television Culture19 dargestellte syntagmatisch-strukturalistische Narrationsanalyse von Vladimir Propp eine brauchbare Untersuchungsmethode. Propps Analyse, welche auf der Untersuchung von diversen Russischen Volksmärchen basiert, unterteilt die narrative Struktur von Volksmärchen in 6 verschiedene, auf einander folgende Kategorien, die sich im Zeichentrickfilm Mulan wieder finden lassen (diese 6 Kategorien lassen sich sehr gut mit den oben beschriebenen 5 Akten des aristotelischen Dramas vergleichen):
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Preperation —› Mulan wird als Protagonistin eingeführt. Dem Zuschauer wird verdeutlicht, dass sie Probleme hat, ihre traditionelle Rolle als unterwürfige und gehorsame Tochter bzw. zukünftige Ehefrau zu erfüllen. Außerdem wird die drohende Gefahr durch die Hunnen verdeutlicht;
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Complication —› Mulans gebrechlicher Vater soll in die chinesische Armee eingezogen werden. Mulan beschließt als Mann verkleidet anstelle ihres Vaters in die Armee ein zu treten;
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Transference —› Mit Hilfe des kleinen Drachen Mushu absolviert Mulan erfolgreich ihre Ausbildung zum Soldaten;
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Struggle —› Es kommt zum ersten Kampf gegen die Hunnen. Diese werden besiegt, allerdings wird Mulan bei dem Kampf verletzt. Ihre Tarnung wird aufgedeckt, aber ihr Leben wird verschont.
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Return —› Von der Armee ausgeschlossen beobachtet Mulan, die Neuformierung der Hunnen worauf sie zu Shang und zum Kaiser eilt, um diese zu warnen. Mit Hilfe ihrer Kameraden befreien Shang und Mulan den Kaiser, besiegen die Hunnen und retten das gesamte chinesische Reich;
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Recognition —› Mulans Verdienste werden vom Kaiser anerkannt. Außerdem wird ihr eine Belohnung angeboten, die sie ausschlägt, um zu ihrer Familie zurück zu kehren. Zu Hause wird sie freudig empfangen. Ein romantisches Liebesglück mit Shang wird zumindest angedeutet;
Mulan folgt eindeutig den Regeln des klassischen Hollywood Kinos20.
Darüber hinaus erlaubt die klassische Märchen- bzw. 5 Aktstruktur des Films eine traditionelle (patriarchalische) narrative Auflösung der aufgeworfenen Gender-Problematik.
Durch die für Disney Zeichentrickfilme typische Anlehnung an das Genre des klassischen Hollywood Musicals, erhalten die im Film vorkommenden Lieder eine besondere Bedeutung und bilden narrative Schwerpunkte.