1 In der Armee hat Mulan versucht, Shang durch Stärke zu beeindrucken und bei der Rettung des Kaisers durch ihre Cleverness und Intelligenz. Dies ist zentrales Motiv von typischen Protagonistinnen in Disney Filmen, durch die Liebe zu einem Mann oder durch die Liebe des Mannes motiviert zu sein.
2Werenfels, Isabelle (2002)
Von der
‘Mikrophysik’ arabisch-muslimischer Männlichkeiten.
In: Gender Game.
Hg. v Marion Strunk.
Tübingen: Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, S. 120-151
3de Lauretis, Teresa (1984)
Through the looking Glass: Woman, Cinema, and Language.
In: Alice doesn’t. Feminism, Semiotics, Cinema.
Bloomington: Indiana UP, S. 12-36
4Nixon, Sean (1997)
Exhibiting Masculinity.
In: Representation: Cultural Representations and Sygnifying Practices.
Hg. v Stuart Hall.
London: SAGE Publications, S. 291-337
Die erste These, die es im Laufe des Projekts zu be- oder widerlegen galt, lautete: Es gibt ein spezielles Disney Gender Modell. Nach Sichtung und Analyse diverser Sekundärliteratur zu diesem Thema folgte eine beispielhafte Analyse einiger Figuren aus verschiedenen Disney Zeichentrickfilmen gemäß ihrer Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Besonders die abschließende Vorstellung der einzelnen Charaktere – sowohl männliche als auch weibliche Protagonisten und Antagonisten – hat im Detail gezeigt, dass die erste innerhalb des Projektes gestellte These bestätigt werden kann.
Zwar gibt es immer wieder temporäre Abweichungen der einzelnen Elemente des Disney Gender Modells, so ist z.B. Ariel zu Beginn ein rebellischer, ungezähmter Teenager, der diesem Modell zu widersprechen scheint. Jedoch sind diese Abweichungen stets zeitlich auf eine bestimmte Phase im Film – zumeist dem Anfang – begrenzt, was dazu führt, dass z.B. Ariel am Ende des Films die Disney typische Frauenrolle problemlos erfüllt. Im Allgemeinen werden Frauen in Disney Filmen durch die romantische Liebe zu einem Mann definiert, was z.B. durch die narrative Auflösung in Ariel bestätigt wird. So kann, gerade nach Betrachtung der einzelnen innerhalb des Projektes aufgeführten Beispiele, gesagt werden, dass – in Bezug auf das Medium Zeichentrickfilm – ein spezielles Disney Gender Modell vorzufinden ist.
Die zweite These bzw. Fragestellung des Projektes lautete: Wie wird das traditionelle Disney Gender Modell von Mulan eingehalten bzw. durchbrochen? Während der Bearbeitung der einzelnen Elemente der Filmanalyse erschien es zunächst so, als ob Mulan das Gender Modell in mehreren Belangen durchbricht. Generell hat der Film auch den Ruf, genau dies zu tun. So gibt es im Verlauf des Films immer wieder eine Reihe von Ansätzen, die das Durchbrechen des Disney Gender Modells zu bestätigen scheinen. Zu Beginn des Films lernt der Zuschauer Mulan als burschikoses, wildes Mädchen kennen, ungleich des traditionellen chinesischen Ideals. Darüber hinaus hat sie ständig mit ihrer Rolle als Frau zu kämpfen, was darin gipfelt, dass sie heimlich als Mann verkleidet in den Krieg zieht, wobei sie große (männliche) Stärken beweist. Im Gegensatz zu Mulans jugendlichem Elan steht zu Beginn des Films ihr Vater, der als alter, schwacher und gebrechlicher Mann dargestellt wird. Auch der in Mulan wieder zu findende Prozess der Disneyfizierung macht deutlich, dass es sich bei diesem Film um eine amerikanisierte Version der chinesischen Originalvorlage handelt, in der feministische Wertvorstellungen, Individualität und Selbstfindung eine Rolle zu spielen scheinen.
Nach einer genaueren Analyse des Films wird allerdings deutlich, dass Mulan das traditionelle Disney Gender Modell nur zeitweise bzw. oberflächlich durchbricht. Obwohl Mulan und ihr Vater zu Beginn des Films genau entgegen stereotyper Gender-Rollen dargestellt werden, wird gegen Ende des Films die alte, traditionelle ‚Disney Gender Logik’ wieder hergestellt. Mulan ist ehrfürchtig zu ihrem Vater heimgekehrt, demütig, ihn ehrend. Der Vater hingegen erscheint hier wieder als starke aktive Persönlichkeit, als typischer Patriarch, dem seine Tochter das Schwert des Kaisers als ihre Ehrerbietung überreicht. Hier wird also das Motiv ‚dem Vater Ehre bringen’ vollkommen erfüllt, was genau in das Gender Modell Disneys hineinpasst. Darüber hinaus zeigt sich am Ende des Films, dass Mulans Handlungen u.a. von der Liebe zu Shang motiviert waren1, was wiederum ein wichtiger Bestandteil des Disney Gender Modells ist. So endet Mulan auch mit der für Disney typischen Endeinstellung: Shang entdeckt seine Liebe zu Mulan und folgt ihr nach Hause, womit das ‚ happy ending’ gegeben ist und die Frau sich dem Mann hingeben kann.
Indem Mulan zu den bereits erwähnten stereotypen Gender-Rollen zurückkehrt, bekräftigt der Film diese und bestätigt sie sogar. Obwohl sich die ausführenden Akteure innerhalb des Films in einem ständigen Wandel befinden, ist stets eine stereotype Dichotomie von aktiven und passiven Gender-bezogenen Rollen vorhanden. Genauso ist eine strikte Unterteilung des traditionell männlich konnotierten öffentlichen und kulturellen Lebensraum sowie der weiblich konnotierten häuslichen und Natur-nahen Sphäre gegeben. Wie bereits erwähnt spielt das Ende des Films bei der Untersuchung der Gender-Frage eine wichtige Rolle, da hier mit Hilfe des Disney typischen ‚happy endings’ der Aspekt der Romantik doch noch an Bedeutung gewinnt. Am Ende entscheidet sich die Protagonistin für die passive, unterwürfige Rolle der gehorsamen Tochter und liebevollen Ehefrau. Somit wird den Zuschauern zu verstehen gegeben, dass Mulan nicht völlig emanzipiert ist, schließlich braucht sie immer noch einen Mann, um ein erfülltes und glückliches Leben zu führen.
Eine Restaurierung der klassischen patriarchalischen Machtverhältnisse wird auch in der Darstellung des Männlichkeitsbildes deutlich. Innerhalb des Films nimmt Mulan die Rolle ihres Vaters mit dem Ziel an, ihm seine Autonomie wiedergeben zu können (somit wird der patriarchalische Diskurs letztendlich nicht durchbrochen). Obwohl in Mulan wegweisende cross-gender Aspekte vorzufinden sind, werden diese u.a. mit Hilfe von Humor abgewertet bzw. ins Lächerliche gezogen. Darüber hinaus wird die ‚wahre Männlichkeit’ des Helden niemals angetastet, da er es im Gegensatz zu seinen Kameraden ‚nicht nötig hat’ seine weibliche Seite zu zeigen. Dies führt dazu, dass sich innerhalb des im Film dargestellten Männlichkeitsbildes eine hierarchische Struktur kristallisiert, in der eine Sorte von Mann (z.B. mutig und attraktiv, höherer gesellschaftlicher Status, etc.) über eine andere Sorte (z.B. tollpatschig und unattraktiv, etc.) dominiert2.
Ferner erlangt am Ende des Films auch Mulans Vater seine Vormachtstellung zurück. Diese Tatsache lässt u.a. darauf schließen, dass die kulturell etablierten Kontraste zwischen ‚Alt und Jung’ nicht so stark sind wie jene Unterschiede, die traditionell zwischen ‚Mann und Frau’ herrschen (Mulans Vater ist zwar alt und gebrechlich, aber die Tatsache, dass er ein Mann ist führt dazu, dass er im Gegensatz zur jungen und gesunden Mulan seine Machtposition innerhalb der Gesellschaft behalten kann). Des Weiteren wird an keiner Stelle des Films hinterfragt, dass es ‚natürliche’ Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Es erfolgt vielmehr eine Naturlasierung der Geschlechterdifferenz (Mulan kann eben nur Mann oder Frau sein, sie muss sich entscheiden, weswegen sie sich in einer bereits an anderer Stelle beschriebenen Geschlechtsidentitätskrise befindet).
Der klassischen Hollywood Tradition folgend (Hollywood als Traumfabrik) kann der Film als Form des Eskapismus gesehen werden. Kinder (vor allem Mädchen) können ihre Phantasien ausleben, ohne Konsequenzen davonzutragen. Im Sinne von Teresa de Lauretis fungiert Mulan somit als ‚woman’3, indem sie ein Idealbild der Frau verkörpert, welches in der Realität so nicht vorzufinden ist, und welches zum Leitbild für weibliche Zuschauer werden kann. Darüber hinaus führt die in Mulan dargestellte Repräsentation von Gender zum einen zu einer medialen Erzeugung stereotyper Geschlechterrollen, zum anderen zu der Verstärkung bereits etablierter Geschlechterdifferenzen, wobei Männlichkeit stets als erstrebenswertes Ideal gilt.
Nichtsdestotrotz verdeutlicht der Film, dass sich die traditionell innerhalb des Disney Gender Modells präsentierten ‚Mann – Frau Ideale’ in einem ständigen Wandel befinden. So scheint Shang als Held sensibler zu sein als seine Vorgänger – ein Aspekt, welcher sich u.a. in Sean Nixons Konzept des ‚new man’4 wieder finden lässt. Auch die neue Art von Heldin, die Disney mit Mulan geschaffen hat, könnte sich auf einen (wenn auch halbherzigen) Versuch der Firma zurückführen lassen, moderner zu werden und sich dem Lauf der Zeit anzupassen, um somit weiterhin möglichst viele Zuschauer bzw. Konsumenten zu erreichen. Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit weitere sowohl aktuelle als auch zukünftige Disney Produktionen eine Veränderung der Repräsentation von Gender aufweisen oder dem traditionellen Konzept des ‚Classic Disney Modells’ und somit des Disney Gender Modells treu bleiben.