1Ward, R. Annalee (2002)
Mouse Morality. The Rhetoric of Disney Animated Film.
Austin: University of Texas Press
2Ward, R. Annalee (2002)
Mouse Morality. The Rhetoric of Disney Animated Film.
Austin: University of Texas Press
3Die innerhalb des Projektes dargestellte Filmanalyse von Mulan beinhaltet eine Narrations- sowie Figurenanalyse.
Darüber hinaus werden ausgewählte Filmausschnitte einer Sequenzanalyse unterzogen.
Seit den 1930ern produziert die Firma Disney Geschichten, Charaktere und Erfahrungen, die die Schlüsselelemente der US Mainstream Kultur verkörpern und verstärken. Darüber hinaus hat sich die Firma im Lauf der Zeit eine führende Position auf dem internationalen Markt der (Familien-) Unterhaltung gesichert. Die Marke Disney ist zu einem Synonym für Unschuld, Phantasie, moralische Tugend und Verantwortung geworden. Im Allgemeinen kommen Kinder durch Videos, DVDs, Kinofilme, TV Shows, Puppen und Merchandising Produkte, Restaurants, Disney Themenparks, Schulfilme und viele andere Produkte, bewusst oder unbewusst, fast täglich mit Disney in Berührung. Vor allem Disney Zeichentrickfilme scheinen sich einer großen Beliebtheit zu erfreuen. Seit über 70 Jahren wird so gut wie jeder von Disney herausgebrachte Animationsfilm zum Erfolgshit, welcher viele Menschen erreicht und eine ganze Palette von Merchandising Produkten nach sich zieht. Dabei wird oft vergessen, dass Disney Produkte nicht nur harmloses Familien-Entertainment liefern, sondern auch eine Auswirkung auf die Verstärkung gesellschaftlicher Normen und Werte sowie Einfluss auf die Identitätsbildung von Kindern haben können, da sie in der Regel eine relativ konservative Weltsicht verkörpern, welche in direkter Verbindung mit der Konsumkultur steht.
Des Weiteren ist der Zeichentrickfilm allgemein innerhalb unserer Gesellschaft zu einem wichtigen und beliebten Geschichtenerzähler geworden. Zeichentrickfilme spielen heutzutage für Kinder bei der Vermittlung von Rollen, Normen, Werten und Idealen mindestens genauso eine Rolle wie herkömmliche bzw. traditionelle Lehr- und Erziehungsmethoden oder Institutionen (z.B. Schulen, religiöse Institutionen oder die Familie). In diesem Zusammenhang übernehmen Disney Zeichentrickfilme die Funktion einer moralischen Erziehungsinstanz und helfen dabei das Verständnis der Kinder von richtig und falsch, gut und b öse zu prägen. Dabei übermitteln sie ganz bestimmte Botschaften, die, obwohl sie auf verschiedene Weisen von den Zuschauern interpretiert werden können und meistens sogar in sich widersprüchlich sind, eine spezielle Disney Weltanschauung wiedergeben, die bewusst oder unterbewusst wahrgenommen wird. Die Disney Weltanschauung wird durch das „Classic Disney Model“1 verdeutlicht. Dieses Modell basiert auf einer speziellen Disney Formel, welche sich aus einer ganz bestimmten Reihe von ästhetischen, stilistischen und thematischen Charakteristika zusammensetzt und vor allem Kinder bei der Etablierung und Verinnerlichung von Normen, Werten und Identitäten stark beeinflussen kann.
Somit zeichnen sich Disney Zeichentrickfilme häufig durch die Vermittlung von unbeständigen Botschaften aus, die sich einerseits den kulturellen Veränderungen im Lauf der Zeit angepasst haben, andererseits immer noch von einer hierarchischen sowie patriarchalischen Weltanschauung dominiert werden, die sich u.a. bestimmter geschlechtsspezifischer Stereotypen bedient und folglich eine Disney-spezifische Repräsentation von Gender wiederspiegelt. Ferner werden in Disney Zeichentrickfilmen Charaktere kreiert, die universelle Emotionen und Ängste durchleben. Dieses macht es Kindern einfacher sich mit den dargestellten Charakteren zu identifizieren und sich die durch sie übermittelten Botschaften anzueignen. Dabei entstehen, basierend auf der im Film vermittelten Disney Weltanschauung, sowohl positive als auch negative Identifikationsmöglichkeiten.
Eine besondere Rolle spielt hierbei das durch Disney Zeichentrickfilme vermittelte Gender Modell. Das vorliegende Projekt befasst sich ausführlich mit der Frage nach der Repräsentation von Gender in Disney Zeichentrickfilmen. In diesem Sinne soll anhand von Sekundärliteratur und verschiedener Beispiele innerhalb dieses Projektes deutlich gemacht werden, dass die Darstellung männlicher und weiblicher Charaktere seit dem 1937 erschienenen ersten abendfüllenden Disney Zeichentrickfilm Schneewittchen und die sieben zwerge einem rekurrierendem Muster unterliegt. Dieses Disney Gender Modell liefert eine stereotype Vorstellung der Geschlechterrollen, basierend auf der Annahme, dass es geschlechtsspezifische Antworten auf die Frage „Was bedeutet es Mensch zu sein?“2 gibt. Folglich werden Disney Zeichentrickfilme von begrenzten weiblichen Charakteren dominiert, welche sich durch ihre Unschuld, Naivität, Passivität, Unterwürfigkeit und Attraktivität auszeichnen. Neben dieser stereotypen Definition von Weiblichkeit wird dem Disney Zuschauer auch ein ganz bestimmtes Bild von Männlichkeit vermittelt. Innerhalb der Disney Weltanschauung wird Männlichkeit mit Aktivität, Mut und der Suche nach sich selbst gleichgesetzt. Allerdings darf auch bei der Disney Definition von Männlichkeit die Attraktivität nicht fehlen.
Als Grundlage für dieses Projekt dient der 1998 erschiene Disney Zeichentrickfilm Mulan. Basierend auf einem ca. 500 nach Christus anonym verfassten Gedicht über die chinesische Kriegerin Fa Mu-Lan, erzählt der Zeichentrickfilm die Geschichte eines jungen Mädchens, welches durch Einfallsreichtum, Standfestigkeit, Mut und Selbstdisziplin zu bestechen scheint. Im Gegensatz zu vorherigen Disney-Protagonistinnen ist Mulan nicht einzig und allein auf die Erfüllung ihrer romantischen Liebe fixiert. Ihre Handlungen scheinen von der Suche nach sich selbst motiviert zu sein. Darüber hinaus möchte sie ihrer Familie Ehre bringen und den chinesischen Kaiser beschützen. Im Sinne der klassischen Hollywood Doppel-Plot Struktur wurde mit Mulan zum ersten Mal in der Geschichte der abendfüllenden Disneyzeichentrickfilme eine Heldin geschaffen, deren Hauptaufgabe nicht mehr nur darin besteht, die Liebe ihres Lebens zu finden. Neben dem nur noch unterschwellig vorhandenen Romantik-Plot stellt Disneys Mulan ein interessantes Untersuchungsobjekt in Bezug auf den Prozess der Disneyfizierung dar, da hier zum ersten Mal eine „nicht westliche“, sondern chinesische Legende die Grundlage für den Film liefert. Schließlich spielen neben der Protagonistin auch männliche Charaktere eine wichtige Rolle in Mulan, was eine Untersuchung sowohl des von Disney präsentierten Weiblichkeits- als auch Männlichkeitsbild zulässt (außerdem bietet der Film auch noch diverse cross-gender Aspekte bzw. Momente die im Hinblick auf die Repräsentation von Gender von Bedeutung sind). Ein weiterer ausschlaggebender Aspekt für die Wahl des Zeichentrickfilms Mulan ist die Tatsache, dass der Film äußerst unterschiedlich rezipiert wurde. Einerseits wurde er für seine tollkühne und emanzipierte Heldin gelobt, andererseits wurde auch hier Disney ein zu hoher Grad der Amerikanisierung vorgeworfen. Ferner wurde Mulan auch nicht von allen als positive weibliche Figur angesehen, sondern als weitere stereotype Protagonistin, deren Darstellung in der Tradition des Disney Gender Modells angesiedelt ist.
Innerhalb dieses Projektes soll die Repräsentation von Gender in Disney Zeichentrickfilmen am Beispiel von Mulan untersucht werden. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass Disney Zeichentrickfilme eine bestimmte Weltanschauung vermitteln, welche wiederum ein ganz bestimmtes stereotypes Gender Modell beinhaltet. In diesem Sinne soll innerhalb dieses Projektes zunächst aufgezeigt werden, was unter der Disney Weltanschauung, und somit auch unter dem „Classic Disney Modell“ zu verstehen ist, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die Verdeutlichung sowie Veranschaulichung des Disney Gender Modells gelegt werden. Darüber hinaus beschäftigt sich ein Teilbereich dieses Projekts ausführlich mit dem Prozess der Disneyfizierung, da am Beispiel von Mulan verdeutlicht werden soll, inwieweit die Disneyfizierung der chinesischen Legende die Darstellung von Gender in Mulan beeinflusst hat. In einem weiteren Schritt soll ein Überblick über die Kritik sowie Rezeption des Films gegeben werden, um dem Leser zumindest eine grobe Vorstellung davon zu geben, wie der Film nach seinem Start in den Kinos aufgenommen wurde und welche Rolle (besonders bei Kindern) das Genre des Zeichentrickfilms bei der Etablierung und Verinnerlichung von geschlechtsspezifischen Identitätsbildern / Leitbildern spielen kann. Schließlich soll mit Hilfe einer ausführlichen Filmanalyse3 die Repräsentation von Gender sowohl auf der narrativen, visuellen als auch musikalischen Ebene des Films mit dem Ziel untersucht werden, herauszufinden, ob und wie das traditionelle Disney Gender Modell von Mulan eingehalten oder vielleicht sogar durchbrochen wird.